Trennung und Kind

Welche Erfahrungen machen Familien mit dem Wechselmodell?

Montag, 9. August 2021, geschrieben von .

Welche Erfahrungen machen Familien mit dem Wechselmodell?

Trennen Sie sich von Ihrem Ehepartner oder Ihrer Ehepartnerin, stehen Sie vor der Frage, wie Sie die Betreuung Ihres gemeinsamen Kindes regeln. Sind beide Elternteile bestrebt, das Kind im eigenen Haushalt zu betreuen, bietet sich das Wechselmodell an. Bislang gab es kaum Untersuchungen oder statistische Auswertungen, inwieweit das Wechselmodell praktiziert wird. Wünschen oder planen Sie die Betreuung im Wechselmodell, könnte es interessant sein zu wissen, welche Erfahrungen es damit gibt.

Studie aus 2020 „Familienmodelle in Deutschland“

In Deutschland wurden in der empirischen Studie „Familienmodelle in Deutschland“ mit 1554 Trennungsfamilien erstmals die Lebensbedingungen von Kindern untersucht, die im Wechselmodell betreut werden. Als Vergleichsgruppe wurden vornehmlich Trennungskinder gegenübergestellt, die im Residenzmodell (Betreuung durch einen Elternteil) aufwachsen sowie Kinder, die in bestehenden Kernfamilien leben. Wir sprechen darüber, welche Erkenntnisse sich aus der Studie ergeben haben. Immerhin könnte die Studie Auswirkungen darauf haben, wie Familiengerichte damit umgehen, wenn ein Elternteil beantragt, die Betreuung des Kindes im Wechselmodell anzuordnen.

(Quelle: Steinbach/Helms u.a. „Familienmodelle in Deutschland“ – FAMOD: Zur Bedeutung des Wechselmodell für das kindliche Wohlbefinden nach elterlicher Trennung oder Scheidung, FamRZ 2021, 729 – 740).

Ausgangsvoraussetzungen der Statistik

Die Autoren der Studie unterscheiden das symmetrische (paritätische) Wechselmodell, bei dem Kinder jeweils 50 % ihrer Zeit bei beiden Elternteilen verbringen und das asymmetrische Wechselmodell, wenn beide Elternteile die Kinder zu mindestens jeweils 30 % betreuen. Bislang gibt es kaum verlässliche Zahlen, wie oft das Wechselmodell in Deutschland überhaupt praktiziert wird. Frühere Studien beziffern den Anteil der Wechselmodellfamilien jedenfalls auf knapp 5 %. In Schweden liegt der Anteil bei fast 21 %, in Rumänien bei 0,3 %. Genauere Daten für Deutschland gibt es jedoch nicht.

Die Studie erfasste 1554 Familien. Davon waren 622 Residenzmodellfamilien, 611 Wechselmodellfamilien und 321 Kernfamilien, also Familien, in denen die Kinder mit beiden leiblichen Elternteil in einem Haushalt leben.

Da es bei jeder Art von Betreuung auf das Kindeswohl ankommt, untersucht die Studie unterschiedliche Ansätze, nämlich:

  • Psychische Gesundheit des Kindes
  • Psychosomatische Beschwerden
  • Stresswahrnehmung
  • Physische Gesundheit
  • Soziale Integration
  • Schulischer Erfolg

WelcheN Aussagewert hat die Studie?

Die Studie basiert auf umfangreichen Erhebungen, ist aber nicht repräsentativ. Ihre Ergebnisse beruhen darauf, dass verschiedene Mitglieder einer Familie befragt wurden. Dabei wird nach dem Alter der Kinder, 0 bis 6 Jahren und 7 - 14 Jahre, unterschieden. Da die Antworten der befragten Personen teils subjektiv sind und auf persönlichen Erfahrungen beruhen, lassen sich eine Reihe von Erkenntnissen nicht wirklich objektivieren. Meist wurden Familien ausgewählt, die sich für die Befragung grundsätzlich interessierten, so dass Familien, die gerade im Zentrum gerichtlicher Auseinandersetzungen stehen, wahrscheinlich nicht wirklich erfasst werden konnten. Trotzdem ist das Ergebnis interessant und könnte durchaus als einigermaßen repräsentativ verstanden werden. Immerhin haben sich einige konstruktive Zusammenhänge ergeben.

Welche Erkenntnisse brachte die Studie?

Die wesentliche Erkenntnis der Studie besteht darin, dass es ausreichend Gründe gibt, dem Wechselmodell offen gegenüberzustehen und es als eine brauchbare Betreuungsoption in Betracht zu ziehen. Im Detail:

  • Ausgangspunkt ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Der BGH stellt darauf ab, dass die gerichtliche Anordnung eines symmetrischen (paritätischen) Wechselmodells dem Kindeswohl in der Regel eigentlich am besten entspricht (BGH FamRZ 2017, 532). Voraussetzung ist allerdings, dass die Elternteile so miteinander kommunizieren und kooperieren können, dass die Vereinbarung oder die gerichtliche Anordnung eines Wechselmodells sinnvoll erscheint. Nur dann nämlich lässt sich ein Wechselmodell im Interesse und zum Wohl des Kindes zuverlässig praktizieren. Ist dies nicht der Fall, bleibt der Wunsch eines Elternteils, das Wechselmodell zu organisieren, Wunschdenken.
  • Wichtig scheint die Erkenntnis, dass sich kein Steigerungseffekt feststellen lässt. Es lässt sich also nicht nachweisen, dass das Wohlergehen des Kindes besser ist, je ausgeglichener die Betreuungszeiten unter den Elternteilen aufgeteilt werden.
  • Die Studie zeigt, dass sich das elterliche Konfliktniveau am stärksten auf Kinder im symmetrischen Wechselmodell auswirkt und am schwächsten auf Kinder im asymmetrischen Wechselmodell. Vor allem in hochgradig konfliktbelasteten Familienbeziehungen scheint es für symmetrisch betreute Kinder schwierig zu sein, eine Orientierung zu finden, während sie beim asymmetrischen Wechselmodell eher das Gefühl haben, ein festes Zuhause zu haben.
  • Kinder, die im asymmetrischen oder im symmetrischen Wechselmodell leben, weisen durchschnittlich weniger psychische Probleme auf als Kinder, die im Residenzmodell leben. Grund könnte sein, dass sowohl eine gute Mutter-Kind-Beziehung als auch eine gute Vater-Kind-Beziehung aufgrund des intensiveren Kontaktes zu beiden Elternteilen einen positiven Einfluss auf die psychische Gesundheit des Kindes haben, während im Residenzmodell die Beziehung zu einem Elternteil meist leidet.
  • Kinder, die im symmetrischen Wechselmodell leben, scheint oft stärker belastet als Kinder, die in einem asymmetrischen Wechselmodell leben. Grund könnte sein, dass Kinder, die zu gleichen Teilen in zwei elterlichen Haushalten leben, nicht über einen einzigen Lebensmittelpunkt verfügen, wodurch ihnen ein gewisses Maß an Stabilität fehlt. Längere Abwesenheiten von beiden Haushalten könnten dazu führen, dass Kinder von wichtigen Ereignissen und Entwicklungen in den elterlichen Haushalten ausgeschlossen werden. Darunter könnte ihr Zugehörigkeitsgefühl zu ihren Familien leiden.

Im asymmetrischen Wechselmodell betreute Kinder hingegen verfügen über einen Lebensmittelpunkt, haben aber die Option, durch den intensiveren Kontakt zum anderen Elternteil stärker von dessen emotionalen, sozialen und finanziellen Möglichkeiten zu profitieren als Kinder im Residenzmodell.

Zugleich scheinen aber Kinder, die im Wechselmodell leben, besonders anfällig für negative Auswirkungen von Loyalitätskonflikten zu sein, da sie oft enge Beziehungen zu beiden Elternteilen haben und so emotional durch Loyalitätskonflikte stärker belastet werden. Auch haben solche Kinder weniger Möglichkeiten, Loyalitätskonflikte zu vermeiden oder zu reduzieren, weil ihnen die emotionale Distanzierung nicht gelingt.

  • Für Kinder unter 3 - 4 Jahren wird auch im Hinblick auf andere Studien bezweifelt, dass ein symmetrisches (paritätisches) Wechselmodell wirklich dem Kindeswohl entspricht. In diesem Alter benötigen Kinder eine feste Bezugsperson. Wechselt das Kind ständig zu einem Elternteil, hat es oft Schwierigkeiten, den Bezug zu einem Elternteil herzustellen und auf der Grundlage dieser Bindung eine Persönlichkeit zu entwickeln.
  • Für Kinder über 12 - 14 Jahren wird oft angenommen, dass sie regelmäßig kein allzu großes Interesse daran haben, in einem symmetrischen Wechselmodell aufzuwachsen. Sie gehen gern eigene Wege.
  • Soweit die Studie psychosomatische Faktoren anspricht, ist es nicht vornehmlich das Betreuungsmodell, welches die psychosomatische Gesundheit von Kindern steigert. Vielmehr lassen sich gesundheitliche Vorteile von Kindern aus Wechselmodellfamilien durch andere familienbezogene Faktoren wie die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung erklären.
  • Geht es um die Stresswahrnehmung beim ständigen Wechsel von einem Elternhaushalt in den anderen, stellt die Studie fest, dass Kinder, die bis zu viermal im Monat pendeln, nicht stärker belastet sind als Kinder, die mehr als viermal im Monat wechseln. Die Erklärung könnte in der Art und Weise liegen, wie Familien den Wechsel ihrer Kinder organisieren, indem sie die Kinder von einem Haushalt zum anderen fahren oder welche Probleme sonstiger Art mit dem Wechsel verbunden sind.
  • Im Hinblick auf den Schulerfolg stellt die Studie fest, dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen Kindern im asymmetrischen Wechselmodell und Kindern im Residenzmodell bezüglich der Schulnoten gebe. Allerdings hätten Kinder im symmetrischen Wechselmodell durchschnittlich etwas bessere Noten als Kinder im Residenzmodell.
  • Unter dem Strich sehen die Autoren keinen Anlass, einem Wechselmodell in der gelebten familiären Wirklichkeit generell skeptisch gegenüberzustehen. Dieser Einschätzung tut es keinen Abbruch, soweit die Studie Anhaltspunkte dafür liefert, dass sich ein symmetrisches Wechselmodell in hochkonfliktbelasteten Familienbeziehungen für das Kind als schädlich erweisen könnte. Ob und inwieweit die Studie den Familiengerichten Entscheidungshilfen an die Hand gibt, bleibt offen. Letztlich muss das Familiengericht entscheiden, ob die familiären Gegebenheiten so konstruktiv sind, dass die Anordnung eines Wechselmodell zielführend ist.

Rechtfertigen allein die Wünsche und Erwartungen eines Elternteils die Anordnung eines Wechselmodells?

Sie können die Ergebnisse der Studie drehen und wenden, wie Sie wollen. Letzten Endes entscheidet immer Ihre familiäre Situation. Beachten Sie, dass ein Wechselmodell kein Selbstläufer ist. Auch wenn Sie den Wunsch haben, dass sich Ihr Ex-Partner als verantwortungsvoller Elternteil an der Erziehung Ihres gemeinsamen Kindes beteiligt, ist es nicht Zweck des Wechselmodells, die Erwartungen, Wünsche oder Rechte der Eltern zu regeln. Entscheidend ist immer das Kindeswohl (so zuletzt OLG Dresden, Beschluss vom 7.6.2021, Az. 21 UF 153/21).

Die gerichtliche Anordnung eines paritätischen (symmetrischen) Wechselmodell oder einer Betreuung des Kindes, die über das bloße Umgangsrecht hinausgeht, erfordert immer, dass Sie als Elternteile so miteinander kommunizieren und kooperieren können, dass Sie überhaupt in der Lage sind, die wechselseitige Betreuung Ihres Kindes zu organisieren und zu praktizieren. Fehlt es an diesen Voraussetzungen, werden Sie ein Familiengericht nicht davon überzeugen können, ein Wechselmodell anzuordnen.

Betreuen Sie zunächst Ihr Kind überwiegend allein, sollten Sie allenfalls versuchen, den anderen Elternteil zu motivieren, sich über das bloße Umgangsrecht hinaus für die Betreuung und die Erziehung Ihres gemeinsamen Kindes zu engagieren. Hat der Elternteil jedoch kein Interesse am Kind oder beschränkt sich auf den bloßen und zeitlich beschränkten Umgang, werden Sie kaum einen realistischen Weg finden, ein Wechselmodell zu realisieren. Sollte ein zunächst vereinbartes oder gerichtlich angeordnetes Wechselmodell nicht funktionieren und aus emotionalen oder organisatorischen Gründen scheitern, liegt diese Art der Betreuung nicht im Interesse des Kindes und schadet seiner möglicherweise seiner gedeihlichen Entwicklung.

Alles in allem

Die Betreuung von Kindern ist elterliche Aufgabe. Nicht jeder Elternteil sieht sich in der Lage oder ist fähig, sich in der Betreuung des gemeinsamen Kindes so zu engagieren, dass zugleich der andere Elternteil entsprechend entlastet wird. Das Wechselmodell erfordert die Zusammenarbeit beider Elternteile nach der Trennung und Scheidung. Es ist daher nicht möglich, dem anderen Elternteil diese Betreuung aufzuzwingen. Es geht schließlich darum, welches Modell am besten für das Kind ist. Sicherlich wollen auch Sie als Eltern nur das große Beste für Ihr Kind. Mit diesem Ziel vor Augen sollten Sie versuchen eine gemeinsame Lösung zu finden, mit der die gesamte Familie klarkommt.

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