Trennungsbewältigung

Suizidgefahr bei Trennung

Dienstag, 3. März 2020, geschrieben von .

Suizidgefahr bei Trennung

Wel­che recht­li­che Re­le­vanz hat es, wenn bei der Tren­nung Sui­zid­ge­fahr be­steht?

Ihre Ehepartnerin bzw. Ihr Ehepartner verweigert die Scheidung. Das ist sein oder ihr gutes Recht. Wird aber gedroht, sich wegen der Trennung das Leben zu nehmen, stehen Sie vor einer schwierigen Entscheidung. Sie müssen abwägen. Egal, was Sie jetzt tun: Es gibt keine perfekte Lösung. Wir versuchen, aufzuzeigen, ob Sie auf die Trennung verzichten müssen oder die Trennung oder Scheidung wenigstens aufschieben sollten. Das Gesetz setzt hierfür deutliche Maßstäbe. Kennen Sie diese Maßstäbe, beurteilen Sie Ihre Situation leichter und konstruktiver.

Gehen oder bleiben?

Trennung bedeutet noch nicht Scheidung. Leben Sie bereits getrennt, dürfte es leichter sein, ungeachtet der rechtlichen Möglichkeiten wenigstens die Scheidung aufzuschieben und abzuwarten, bis sich die Situation so geändert hat, dass Sie die Scheidung realisieren können. Leben Sie aber noch in der ehelichen Wohnung zusammen, wird es schwieriger, die Partnerin bzw. den Partner in seinen Suizidgedanken zurückzulassen. Dann ist das Risiko einer Suizidgefahr wahrscheinlich höher, als wenn Sie sich bereits getrennt haben und nur noch den formalen Akt der Scheidung vollziehen wollen.

Nach einer Studie der Australian National University entwickeln Männer und Frauen innerhalb von einem Jahr nach der Trennung am wahrscheinlichsten Suizidgedanken. Das Risiko sei dreimal höher als bei denjenigen, die verheiratet blieben oder sich nicht trennten. Das Risiko sei bei Personen in den zwanziger Lebensjahren am höchsten und bei Person in den sechziger Lebensjahren am geringsten. Ab dem zweiten Jahr der Trennung sinke das Risiko (Quelle: Studie „Temporal effects of separation on suicidal thoughts and behaviours“ in: Social Science & Medicine, Vol. 111, Juni 2014).

Muss ich auf die Trennung verzichten?

Es gibt keine gesetzliche Vorschrift, die es verbietet, die Trennung zu vollziehen. Ihre Ehepartnerin bzw. Ihr Ehepartner kann mit einer Suizid-Drohung also nicht verhindern, dass Sie aus der ehelichen Wohnung ausziehen. Gehen Sie einfühlsam, aber bestimmt vor. Letztendlich bleibt es ihr bzw. ihm überlassen, die Trennung zu verkraften. Sie können für Ihre Ehepartnerin bzw. Ihren Ehepartner professionelle Hilfe aufsuchen, um sie bzw. ihn vor sich selber schützen. Gleichzeitig sollten Sie sich nicht dem psychischen Druck aussetzen, der mit solch einer Drohung verbunden ist.

Hinauswerfen können Sie die Ehepartnerin bzw. den Ehepartner allerdings auch nicht. Ihre eheliche Wohnung ist und bleibt in der Zeit Ihrer Trennung Ihre gemeinsame eheliche Wohnung. Jeder Ehepartner hat die gleichen Rechte an dieser Wohnung. Auf die Eigentumsverhältnisse oder darauf, wer den Mietvertrag unterschrieben hat, kommt es nicht an.

Muss ich wegen des Suizidrisikos auf die Scheidung verzichten?

Geht es um die Scheidung, kann ein Ehepartner die Ehegattenschutzklausel des § 1568 Alt. 2 BGB (Härteklausel) geltend machen. Danach soll eine Ehe nicht geschieden werden, obwohl sie gescheitert ist, wenn die Scheidung für den Ehepartner aufgrund außergewöhnlicher Umstände eine so schwere Härte darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe auch unter Berücksichtigung Ihrer Belange ausnahmsweise geboten erscheint.

Die Chancen, unter Berufung auf die Ehegattenschutzklausel die Scheidung verhindern zu wollen, werden oft überschätzt. Es kann nicht darum gehen, die Scheidung schlechthin zu verhindern. Vielmehr geht es darum, die Scheidung zur „Unzeit“ zu vermeiden. Der Ehepartner, der mit der Scheidung nicht klarkommt, soll sich Zeit verschaffen können, sich auf die Auflösung der Ehe einzustellen. Umstände, die allein schon durch die Trennung und Zerstörung des ehelichen Verhältnisses eingetreten sind, bleiben außer Betracht. Der Aufschub der Scheidung muss deshalb das einzige brauchbare Mittel sein, den Ehepartner vor einer für ihn oder sie ansonsten entstehenden unerträglichen Lage zu bewahren. Eine allein durch das Scheitern der Ehe verursachte Härte genügt dafür nicht (BGH NJW 1979, 1042).

Die Rechtsprechung hat in einer Reihe von Fällen individuell abgewogen und entschieden, wann die Ehegattenschutzklausel eingreift und wann nicht. Anhand der Fallbeispiele sollten Sie eine Vorstellung davon bekommen, wann ein drohender Suizid rechtlich eine Rolle spielt und Ihr Scheidungsverhalten beeinflussen kann.

  • Ist ein an einer Krankheit leidender Ehepartner suizidgefährdet, darf die Ehe nicht geschieden werden, bis eine ausreichende medizinische Versorgung gesichert ist (OLG Schleswig-Holstein, 15 UF 85/05). Auch wenn die Ehe gescheitert ist, müsse der Ehemann, auch wenn er seit Jahren von der Frau getrennt lebt und die Scheidung einreicht, alles ihm Zumutbare tun, um Gefahren für Leben und Gesundheit seiner Ehefrau möglichst auszuschließen.
  • Droht der Ehepartner, sich umzubringen, kann er die Scheidung nicht verhindern, solange er sein Verhalten steuern kann und er vor der Gefahr einer Fehlreaktion durch die Aufrechterhaltung der Ehe allein nicht geschützt werden kann. Dies trifft aber dann wiederum nicht zu, wenn sich der Ehepartner in einer psychischen Ausnahmesituation befindet, in der er sein Verhalten insoweit nicht in ausreichendem Maße verantwortlich steuern kann (BGH NJW 1981,2808).
  • Die Ehegattenschutzklausel greift nicht, wenn ein Ehepartner unter psychisch steuerbaren Depressionen leidet (OLG Stuttgart FamRZ 1992, 320) oder weil ein psychisch labiler Alkoholiker sich Halt verspricht, wenn er die Ehe fortsetzen kann (OLG Schleswig NJW 1978, 53).
  • Auch eine Depression als Vorstufe für einen potentiellen Suizid ist kein Grund, die Ehe aufrechtzuerhalten, wenn der Ehepartner in der Lage ist, Hilfe in Anspruch zu nehmen, die Hilfe aber ablehnt. Verschlechtert sich seine Situation, kann er keinen Härtefall begründen (OLG Stuttgart, 16 UF 181/91).
  • Befürchtet ein Ehepartner, dass er nach der Scheidung allein sei und wegen seines hohen Alters die Hilfe des anderen vermisse, kann er die Scheidung nicht verhindern (OLG Brandenburg, Az. 9 UF 208/06). Die vorgetragenen Umstände gehen meist mit jeder Scheidung einher. Es stehe in der Verantwortung des Ehepartners, durch Aufnahme einer neuen Partnerschaft oder durch Inanspruchnahme familiärer, freundschaftlicher oder professioneller Hilfeleistungen seine Situation beherrschbar zu machen.
  • Umgekehrt kommt eine vorzeitige Scheidung bereits vor Ablauf des Trennungsjahres in Betracht, wenn ein Ehepartner an Depressionen, Panikattacken und Selbstmordgedanken leidet. Dann ist es dem anderen Ehepartner nicht zuzumuten, an der Ehe festzuhalten (Kammergericht Berlin, Az. 13 WF 183/17).

Wer muss was beweisen?

Beruft sich eine Ehepartnerin bzw. ein Ehepartner auf die Ehegattenschutzklausel, muss sie bzw. er darlegen und beweisen, dass sie bzw. er besonderen Schutzes bedarf. Dazu müssen die Tatsachen konkret vorgetragen werden, die die konkrete Situation als schwere Härte begründen. Gegebenenfalls muss das Familiengericht ein Sachverständigengutachten einholen. Kann in diesem Gutachten die Gefährdungslage nicht zweifelsfrei geklärt werden, ist die Ehe zu scheiden (OLG Karlsruhe, FamRZ 2000, 1419). Jedenfalls ist das Familiengericht nicht verpflichtet, von sich aus die für die Beurteilung der Situation notwendigen Fakten festzustellen.

Insgesamt darf nicht der Eindruck entstehen, dass allein die Belange des suizidgefährdeten Ehepartners die Richtung vorgeben. Auch Ihre Belange, wenn Sie die Scheidung wünschen, sind in die Abwägung einzubeziehen. Es kommt dann darauf an, für wen die Härte, geschieden oder nicht geschieden zu werden, überwiegt. Ob Sie sich auf eine derartige Beweisführung einlassen wollen oder die Scheidung letztendlich zumindest aufschieben, ist Ihre Entscheidung.

Wie sollte ich mich verhalten?

Schwerwiegende seelische Konflikte lassen sich bei Trennung und Scheidung nicht ausschließen. Dennoch müssen Sie bedenken, dass jeder von Ihnen für sein Schicksal und seine Lebenssituation selbst verantwortlich ist. Eine Ehe ist kein Selbstzweck. Sie muss geschieden werden, wenn sie gescheitert ist. Sie gegen den Willen eines Ehepartners bedingungslos aufrechterhalten zu wollen, ist mit der Zielsetzung einer Ehe nicht in Einklang zu bringen.

Eine Empfehlung kann darin bestehen, zwar die Trennung zu vollziehen, die Scheidung aber zumindest solange aufzuschieben, bis keine Suizidgefahr mehr besteht. Wichtig ist, dass es schnellstmöglich professionelle Betreuung und Hilfe für die suizidgefährdete Person gibt. Sie sollte vor sich selber geschützt werden und lernen, mit der Situation umzugehen.

Klar muss sein, dass sich eine Scheidung auf Dauer nicht verhindern lässt. Es kann nur darum gehen, die Scheidung allenfalls aufzuschieben, zumindest solange, bis sich die Situation entschärft hat.

Alles in allem

Erste Hilfestellung finden Sie bei der Telefonseelsorge, bei der Sie mit einem geschulten Mitarbeiter die Situation besprechen können. Auch die Deutsche Depressionshilfe bietet mit regionalen Krisendiensten und Kliniken Anlaufstellen. In der Deutschen Depressionsliga engagieren sich Betroffene und Angehörige. Insgesamt gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, die Situation konstruktiv anzugehen.

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